Autor: Erika Johansen
Titel: Die Königin der Schatten
Originaltitel: The Invasion of Tearling
Umfang: 608 Seiten
Preis: 14,99 Euro (D)
ISBN: 978-3453315877
Erschienen am: 16.05.2016
Verlag: Heyne
Kelsea
Glynn, die neue Königin von Tearling,
sieht sich einem Berg von Problemen gegenüber: Seitdem sie die monatliche
Lieferung an die Königin des Nachbareiches
Mortmesme eingestellt hat, ist die Armee der Mort auf dem Vormarsch
Richtung Neulondon. Wie kann sie ihr Königreich vor dem drohenden Krieg und
somit dem Untergang Tearlings bewahren? Während die Vorbereitungen auf die
bevorstehende Invasion auf Hochtouren laufen, sieht sich Kelsea mit weiteren Fragen
und Aufgaben konfrontiert. Neben dem Geheimnis um ihre Herkunft und dem steten
Kampf um Unterstützung ihrer Untertanen, rauben ihr Visionen aus einer anderen
Zeit den Schlaf und stellen sie vor weitere Rätsel.
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Auch im zweiten Teil der Trilogie
sticht der Roman durch Kelsea als Hauptfigur aus der Masse hervor. Die durch den ersten
Teil als starke Protagonistin bekannte
junge Frau überzeugt auch im Fortgang der Geschichte durch Kampfgeist, Durchsetzungswillen,
Opferbereitschaft, Intelligenz, Neugierde und politisches Verständnis. Sie
verschließt die Augen nicht vor Unannehmlichkeiten, sondern sucht ununterbrochen
nach Lösungsstrategien.
Doch Kelsea ist nicht unfehlbar.
Sie kämpft nicht nur gegen zahlreiche Gegner, sondern auch gegen sich selbst.
Sie weiß genau wo ihre Schwachstellen liegen: Sie ist aggressiv, impulsiv und jähzornig, trotzig
wie ein Kind. Sie besitzt feste Vorstellungen,
die kein gut gemeinter Rat beeinflussen kann. Hinzu kommt, dass Kelsea,
verschuldet durch ihre Vergangenheit, einen Kampf gegen ihren eigenen Körper führt.
Obgleich sie Eitelkeit verurteilt, fühlt sie sich unwohl und wünscht sie sich sehnlichst ein schöneres, weiblicheres,
sinnlicheres Äußeres. Das Interesse am männlichen Geschlecht sowie der Wunsch
nach Sexualität rücken stärker in den Fokus und lenken die junge Königin ab.
Ebenso durchläuft die
Protagonistin nicht nur einen äußeren, sondern auch einen inneren Wandel:
Kelsea, mit der Ausweglosigkeit sowie
den hohen Ansprüchen anderer und ihrer selbst konfrontiert, wird härter,
roher, brutaler. Sie will sich selbst, ihren Beratern und Beschützern aber auch
dem Volk gerecht werden und droht dabei zu scheitern. Aus Mitgefühl,
Verständnis und dem Wunsch nach Ausmerzung der Ungerechtigkeiten drohen Kälte
und Liebe zur Gewalt zu werden. Etwas Dunkles nistet sich in Kelseas Geist ein
und verschleiert ihre Gedanken.
Diese Veränderungen, die nicht
nur der Verantwortung und Last des königlichen Amtes, sondern auch dunkler
Magie geschuldet sind, bleiben von den Menschen in ihrer Umgebung nicht
unbemerkt.
Neben der Glynn-Königin nehmen
zahlreiche Nebenfiguren einen großen Raum der Geschichte ein und spielen eine
wichtige Rolle für den weiteren Handlungsverlauf. Immer mit von der Partie: Die
Garde der Königin. Anfangs als bloßer Schutz nehmen die Gardisten im weiteren
Verlauf beratende und erzieherische Tätigkeiten ein. Durch die ständige Präsenz
der Männer entsteht ein familiäres Verhältnis zwischen Königin und Leibwächtern.
Ebenso zeichnet sich immer deutlicher ein romantisches Interesse ab.
Auch die Gegenspielerin Kelseas,
genannt die rote Königin, wird nun aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet,
sodass sich neue Facetten zu Zeigen beginnen. Aus einer lediglich bösen und
machtgierigen Figur wird eine Frau mit ergreifender Geschichte und großen
Ängsten.
Besonders schön ist, dass sich
nicht nur bei der Protagonistin, sondern mit der Zeit auch in den
unterschiedlichsten Figuren ein gleiches Element finden lässt: Das Hinterfragen
von als auch die Rebellion gegen festgefahrene Muster, Regeln und Strukturen.
Einige neue Handlungsstränge
stoßen zu bereits eingeführten dazu. Erika Johansen verliert nicht den
Überblick, sondert widmet sich ihren unzähligen Figuren, lässt Raum für
verschiedene Geschichten und Werdegänge. Darüber hinaus lässt sich bereits ein
grobes, unscharfes Bild erkennen, zu dem die Autorin nach und nach mehr
Informationen durchsickern lässt. Ein Puzzleteil folgt dem nächsten und auch
wenn nicht jede Wendung gänzlich überrascht, so bleibt das Ende der Geschichte
weiterhin unvorhersehbar und somit spannend!
Auch Magie und Übersinnliches
sind wieder eng mit Kelseas Schicksal verwoben. Die blauen Saphire und die mit
ihnen einhergehenden magischen Kräfte werfen weitere Fragen auf. Zusätzlich
verfügen weitere Menschen, die Kelseas Weg kreuzen, über besondere und
hellsichtige Gaben.
Das Gesellschaftsbild Tearlings
ist die letzten Jahrzehnte durch Unterdrückung und Ausbeutung der vermeidlich Schwachen, Armen und Schutzbedürftigen stark geprägt worden. Von Kindheit an wurde Kelsea darauf
vorbereitet, dieser grundlegenden Ungerechtigkeit entschlossen entgegen zu
treten und sie zu beseitigen. Seit Beginn ihrer Amtszeit strebt Kelsea nach
politischer und gesellschaftlicher Verbesserung. Sie hinterfragt die
Vergangenheit und versucht alte Fehler zu vermeiden.
Behilflich dabei sind ihr
„Visionen“, in denen Kelsea in die Vergangenheit blicken kann. Ein zusätzlicher
Handlungsstrang wird eingeführt: Lily, eine junge Frau aus der Zeit vor der
Überfahrt und somit vor der Gründung des Reiches Tearling, lebt im NewYork der
Zukunft. Die westliche Welt hat sich stark verändert, beugt sich dem Patriachat
und wird beherrscht durch Technologie, Überwachung, und Ausbeutung. Es ist die
Dekadenz des 21. Jahrhundert.
Durch diesen dystopischen Aspekt
stellt Erika Johansen einen Bezug zu der aktuellen Gesellschaft her. Sie
zeichnet das Ende der heutigen Zivilisation und die daraus hervorgehende
Vorstellung einer besseren Welt, die in den Bereichen der Technologie, Medizin
und Wissenschaften rückläufig ist und
einige Parallelen zum Mittelalter aufweist. Dafür wird sie getragen durch eine
politische Ideologie, die das
Wohlergehen eines jeden Menschen im Vordergrund hat.
In Gegenwart als auch
Vergangenheit lassen sich immer wieder Kritik am zu konservativen und
theokratischen System (dargestellt durch den Fanatismus der Kirche und das strenge
Bild der Geschlechterrollen) oder zu kapitalistischen System (dargestellt durch
die Gesellschaftsform der Plutokratie) finden. Die
Autorin präsentiert Ideen einer neuen, gerechten Welt mit sozialistischen und
linksliberalen Grundzügen.
Fragwürdig bleibt jedoch, ob diese Ideologie „des Rätsels Lösung“ ist und eine durch und durch bessere Gesellschaftsform darstellt. Besonders interessant ist, dass trotz der Vision einer besseren Welt weiterhin ähnliche Fehler begangen werden und sich somit die Utopie zu einer Dystopie entwickelt. Zudem zeigt sich deutlich das Motiv des Menschen, der von seiner eigenen Fehlbarkeit und der Durchsetzungskraft negativer Eigenschaften immer wieder eingeholt und bestimmt wird.
Zusammengefasst: Hinter der
spannenden Fantasygeschichte/Dystopie um Kelsea und den Kampf um das Königreich
Tearling tummeln sich viele versteckte Themen und Aussagen zwischen den Zeilen.
Eine gelungene Fortsetzung, die die Geschehnisse des ersten Bandes aufgreift
und weiterspinnt und durch vielschichtige Figuren, allen voran die
Protagonistin, überzeugt. Ein zweiter Teil, der sehr neugierig und gespannt auf
den Abschluss der Trilogie macht!
4,5/5*
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