Sonntag, 22. September 2019

Der Trick - Emanuel Bergmann

Autor: Emanuel Bergmann
Titel: Der Trick
Umfang: 400 Seiten
Preis: 22,00 Euro (D)
ISBN: 978-3257069556
Erschienen am: Februar 2016
Verlag: Diogenes

Die Eltern von Max wollen sich scheiden lassen. Als der Vater schließlich seine sieben Sachen packt, stößt der Junge auf ein altes Überbleibsel aus der Jugendzeit seiner Eltern: Er hört zum ersten Mal von Zababatini, dem großen Zauberer des 20. Jahrhunderts.Von neuer Hoffnung erfüllt macht sich Max auf die Suche nach dem einst großen Zabbatini, um eine endgültige Trennung zu verhindern.
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Anhand von zwei Erzählsträngen baut der Autor manchmal etwas zu langsam die Geschichte auf. Dabei berichtet er einerseits vom Jungen Mosche (der in die Welt hinauszieht um sich selbst zu verwirklichen) und andererseits vom kleinen Max, (der sich auf die Suche nach einem Gegenmittel für die Auflösung seiner Familie macht). Diese Stränge setzen in zwei unterschiedlichen Zeiten an - Beginn des 20. und des 21. Jahrhunderts - und zeigen nicht nur unterschiedliche Weltbilder, sondern auch zwei unterschiedliche Bilder von ein und derselben Person:

Zabbatini wurde nicht als Zauberer geboren. Aus verworrenen Verhältnissen stammt der Junge, der im frühen Alter seine Faszination für alles Magische entdecken wird. Über Jahre kann der Leser seine Entwicklung beobachten. Man wird Zeuge seiner ersten Erfahrungen und seines Werdegangs als Zauberkünstler. 
Seine Geschichte wird einerseits von Anfang an beleuchtet, andererseits auch vom Ende her. Es wird deutlich, dass aus dem einst neugierigen Kind ein mürrischer alter Mann geworden ist. Die Gründe für diese Entwicklung bleiben jedoch erst mal verdeckt. 

Max bringt ungewollt diese Gründe ans Tageslicht. Dabei ist der eigentliche Grund seines Engagements die Hoffnung, die Scheidung seiner Eltern zu verhindern. Für dieses Ziel ist ihm kein Hindernis zu groß. Er beweist Hartnäckigkeit und vor allem großen Glauben an die Macht der Magie. Dieser kindliche und unerschütterliche Glaube hebt ihn deutlich von seinen Altersgenossen ab, denen er ansonsten in vielen Punkten gleicht. 

"Die Magie ist eine wunderschöne Lüge." (S. 158) "Die beste Lüge [...] ist die Wahrheit." (S. 235) 
Neben einfacher Taschenzauberei und simplen Zirkustricks geht es ebenfalls um Illusionen. Es geht um Ablenkung, aber auch Verschleierung der Wirklichkeit. Oder aber um die unterschiedlichsten Wahrnehmungen der niemals objektiven "Wahrheit".
Der schönste und bedeutsamste Trick Zabbatinis ist ebenfalls der Trick, der am wenigsten vom Zuschauer - dem Leser! - erwartet wird. 

Im Verlauf der Geschichte nimmt das Thema des Nationalsozialismus einen immer größeren Stellenwert ein. Ist zu Beginn lediglich am Rand die Rede von den politischen Entwicklungen in Deutschland, so muss sich Mosche mit der Zeit immer stärker mit dem Thema auseinandersetzen; zwangsweise, denn auch er hat jüdische Wurzeln. 
Emanuel Bergmann nähert sich schrittweise der Zeit des Nationalsozialismus. Erst mit dem Voranschreiten des Romans bemerkt der Leser, welchen Einfluss diese Zeit noch auf das Geschehen haben wird. Spannend werden die Folgen und Ereignisse des Holocaust erzählt, durchdacht mit der Geschichte verwoben.
In diesem thematischen Zusammenhang stehen ebenfalls die Themen Tod und Vergangenheit. Nicht nur der alte Zabbatini, sondern die meisten Erwachsenen sind stark geprägt durch die Vergangenheit. Diese Tatsache begreift Max bereits in früher Kindheit: "Das seltsamste [...] war, dass sie fast nur von Leuten sprach, die gar nicht mehr lebten. Die Toten nahmen in ihrem Leben einen weitaus größeren Stellenwert als die Lebenden ein." (S. 63f.) 

Zusammengefasst: Emanuel Bergmann schreibt anhand des Motivs "der alte Mann und das Kind" über den Glauben an ein Leben voller Wunder und Magie in Zeiten schwindender Menschlichkeit und Hoffnung. Er verknüpft dies mit den Themen "Tod" und "Vergangenheit". Stilistisch als auch vom Erzähltempo der Geschichte ist das Werk durchwachsen, mal sehr fesselnd, mal vor sich hin plätschernd.

3/5*

Mich persönlich konnte die Geschichte nicht direkt begeistern. Aufgrund des personalen Erzählers begann ich erst langsam mit Mosche warm zu werden. Bei Max erging es mir etwas besser, vor allem da der Autor sich besonders originell und authentisch in den kleinen Jungen hineinversetzt. 
Hinzu kommt, dass für mich die Ereignisse erst gegen Mitte des Buches spannender wurden (Stichwort Nationalsozialismus), dass ich mich mehr auf das Lesen freute. Der  Schlussteil also, und somit die Auflösung der Geschichte, war der für mich interessanteste, wenn auch nicht gerade realistischste Part. 
Der Schreibstil war mir an manchen Stellen zu märchenhaft gestaltet. Dennoch ließen sich das ein oder andere schöne Zitat finden. 

Freitag, 20. September 2019

Abbitte - Ian McEwan

Autor: Ian McEwan
Titel: Abbitte
Umfang: 544 Seiten
Preis: 13,00 Euro (D)
ISBN: 978-3257233803
Erschienen am: März 2004 (22. Auflage) 
Verlag: Diogenes

Enlgand, 1935. Es ist ein heißer Sommer, als die 13jährige Briony Tallis das Leben dreier Menschen, einschlossen ihrem eigenen, für immer verändern wird. Denn als sie Zeugin mehrerer kleinerer Vorfälle wird, als sie die Zeichen der aufkeimenden Liebe zwischen dem Angestelltensohn Robbie und ihrer großen Schwester Cecilia falsch interpretiert, begeht Briony Rufmord. Und während  die Jahre vergehen und der zweite Weltkrieg ausbricht, versuchen alle Drei die schweren Folgen jenes  verhängnisvollen Sommers zu überleben.
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Die „kleine“ Briony zeichnet sich besonders durch ihre große Fantasie aus. Gleich zum Einstieg der Geschichte sitzt das Mädchen tief gebeugt über ihre Schreibmaschine und verfasst ihr erstes Theaterstück, ihrem großen Bruder zu Ehren. Zur Aufführung  wird es allerdings nie kommen, denn Briony muss auf für sie schmerzliche Weise erkennen, dass ihre Geschichte zu kindlich, zu unrealistisch ist. Sie weiß sich in der Station zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt. Umso dringender ist sie auf der Suche nach einer neuen Geschichte und findet Gefallen an Cecilias und Robbies Beziehung, in die sie sich einmischt und die sie manipuliert. Naivität vermischt mit Unerfahrenheit und Selbstverliebtheit ist es also zu verschulden, dass Briony die Fakten verdreht und sich wie in ihren Geschichten ihre eigene Wahrheit kreiert. Sie lügt und doch lügt sie nicht, will sie selbst doch so fest an die Schuld des einen und die Unschuld des anderen glauben.
So findet Briony ihren Stoff, aus dem ihre wichtigste Geschichte gemacht sein wird. Der Preis ist hoch. Er kostet sie ihre Bindung zu Cecilia, der sie stets nacheifert, zu Robbie, der sich um sie wie um eine kleine Schwester kümmert, aber vor allem ihr Gewissen und ihre Schuldlosigkeit.

Robbie, aus mittellosem Haus, genießt das Glück mit den Kindern der Familie Tallis aufzuwachsen und von Mr. Tallis finanziell unterstützt zu werden. Er ist liebevoll und gutmütig, kennt Bescheidenheit. Neben seinem Hobby der Landschaftsgärtnerei interessiert er sich für Literatur aber auch die Medizin, der er sich in einem Studium widmen möchte. Er ist derjenige, der zuerst einen Schritt Richtung Cecilia und damit auch einen Schritt Richtung Ende macht. Das Glück, das Robbie in jendem Sommer voller Möglichkeiten empfindet, schwindet von jetzt auf gleich und bestürzt und empört. Ohne Grund (oder aus falschen Gründen) trifft es ihn. Er wird zum Leidtragenden, zum zu Unrecht verurteilten Helden.

Die scharfsinnige Cecilia nimmt im Verlauf des Romans immer weniger Raum ein, vor allem im Vergleich zu Briony. Dennoch zeichnet sich eine ständige Präsenz ihrerseits ab,  in den Gedanken der anderen beiden Figuren beispielsweise. Was deutlich hervorsticht sind Cecilias Stärke und Durchhaltevermögen. Sie besitzt eine sehr autoritäre Ausstrahlung, was nicht nur bei ihrer Berufswahl als Krankenschwester von Vorteil ist. Hingabe sowie unerschütterliches Vertrauen bringt sie Robbie entgegen. Sie beweist Rückgrat und steht bedingungslos hinter ihm, auch wenn dies heißt sich von der gesamten Familie abzuwenden. 

Ian McEwan beweist sein Können und entwirft tiefgründige und vielschichtige Figuren. Während Robbie und Cecilia die Sympathieträger sind, so lässt der Autor schließlich Briony als Protagonistin und eigentliche Erzählerin der Geschichte hervortreten, gleichwohl sie dem Leser zu aufdringlich und unangenehm erscheinen mag. Als Kind besonders nervig, so ist sie im Alter feige und schafft es lediglich in ihrer Fantasie gewisse Fehler zu begleichen.

Wenn es auch nicht ausschließlich im Mittelpunkt steht, so ist das Thema Liebe eine der tragenden Komponenten des Romans. Zu Beginn liegt eine Spannung in der Luft. Es knistert. Die Liebesbeziehung Cecilias und Robbies beruht auf flüchtigen Augenblicken, heimlichen Berührungen, unausgesprochenen Worten und großen Versprechen. Dass die beiden Figuren zueinander gehören aber nicht zueinander finden dürfen, darin besteht die große Tragik. Erst getrennt durch Gefängnis, dann durch den vom Krieg, versuchen die beiden standhaft zu bleiben und um ihre Liebe zu kämpfen. Ohne ins Kitschige abzudriften erzählt McEwen von der großen Liebe und lässt den Leser den Atem anhalten. Er lässt dabei Cecilia die entscheidenden und wunderbar ergreifenden Worte, mit denen er die Hoffnung aller schürt, finden: "Komm zurück [Robbie]. Komm zurück zu mir."

Wie bereits erwähnt wirft der Krieg seinen Schatten auf die bereits düsteren Ereignisse. Während Briony mit dem Krieg durch ihren Job als Krankenschwester konfrontiert wird, kämpft Robbie an der Front. McEwen schildert die schreckliche Zeit mehr als mitreißend. Es gibt laute Szenen voll Gewalt, Krankheit, Verletzungen und Tod, aber auch leise, in denen die Menschen ermüdet und den Krieg leid sind, sich umeinander kümmern, zuhören und trösten. 

Ein weiteres wichtiges Thema ist das der Schuld. Der Autor zeigt  wie ein Moment, das Leben für immer beeinflussen kann. Dabei beweist er Einfühlungsvermögen und schildert authentisch, wie  das restliche Leben von der Tat beherrscht und beeinflusst wird, wie  die Gedanken sich ungewollt nur noch um den Vorfall kreisen. Einem Schatten gleich folgen - in diesem Fall Briony - die Fehler der Vergangenheit, holen sie schließlich ein, werden zu ihrem Lebensinhalt.

Der internationale Bestseller wurde 2007 von Joe Wright mit Topbesetzung (Keira Knightley, James McAvoy, Benedict Cumberbatch uva.) verfilmt. Fast bis zum Schluss hält sich der Regisseur sehr stark an die Romanvorlage und weicht lediglich am Ende ab, indem er den Inhalt, anders als der Autor, nicht darstellt sondern erzählen lässt. 
Die Verfilmung überzeugt mit großartigen und stimmungsgeladenen Bildern, talentierten Schauspielern und großen Gefühlen, aber vor allem einer großartigen Filmmusik. Nicht umsonst gewann Dario Marianelli einen Oscar für den besten Filmsoundtrack. Er unterstreicht die unruhige und gespannte Atmosphäre perfekt. Ebenso genial ist das Leitmotiv der tippenden Schreibmaschine, der klackenden Tasten. Das Geräusch, dem Rhythmus einer  tickenden Uhr gleich, wird immer wieder aufgegriffen in den verschiedensten Formen und großartig eingebaut in die Musik. Dieser langsam anschwellende Laut ist die Maschinerie, die treibende Kraft die hinter allem steckt, auch Schicksal genannt. Unaufhaltsam nimmt es seinen Lauf. Es geht ohne Pause voran, marschiert im Gleichschritt Richtung Zukunft. 

Zusammengefasst: Ian McEwan beschreibt in seinem Roman eine Familie, die auseinander gerissen, und ein Paar, das entzweit wird durch die bloßen Worte eines Kindes. Vor der Kulisse des 2. Weltkrieges geht es neben dem großen Thema "Liebe" um Schuld und um Reue. Am Anfang vom Autor etwas zu detailliert und langatmig, ab dem Mittelpart aber genau richtig, d.h. spannend und mitreißend, erzählt. Eine besondere und sich von der Masse abhebende Liebesgeschichte, die lesenswert ist!

Ich persönlich bin im Nachhinein sehr beeindruckt von der Geschichte. Ich hatte allerdings meine Schwierigkeiten mit Briony. Ich konnte die Abscheu gegen die kleine verwöhnte Nervensäge einfach nicht abschütteln. Noch besser hätte mir die Geschichte gefallen, wenn die Liebesgeschichte  oder Cecilias späteres Gefühlsleben noch mehr Raum, Briony dafür weniger, bekommen hätten.
Im Film ist dieses Verhältnis ausgewogener und übertrifft in Punkt Atmosphäre und Tragik den Roman, sodass die Verfilmung mir mehr Begeisterung und Gefühl entlocken konnte.

*4/5